Geschichten aus dem Alltag eines Anwalts

Sprafke's Blog

Freispruch!

Freispruch ist nicht gleich Freispruch, zumindest nicht für den Verteidiger. Manche Freisprüche liegen von Anfang an auf der Hand, das sieht manchmal sogar die Staatsanwaltschaft so. In den meisten Freisprüchen steckt harte Arbeit, viel Leidenschaft und ja, auch ein Quäntchen Glück. Und dann gibt es Freisprüche, die deshalb so außergewöhnlich sind, weil sie auf der einen Seite statistisch betrachtet so gut wie nie vorkommen, auf der anderen Seite geprägt sind von viel Mut und Selbstbewußtsein des erkennenden Gerichts.

Einen Freispruch aus der letztgenannten Kategorie verkündete gestern am 08.12.2017 der 1. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Koblenz in einem von mir verteidigten Verfahren gegen einen afghanischen Staatsbürger.

Der Generalbundesanwalt, Deutschlands oberster Staatsanwalt, klagte meinen Mandanten an, er habe sich nach deutschem Recht strafbar gemacht. Gegenstand der Vorwürfe waren Angaben, die der Mandant selbst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemacht hatte. Er erzählte, daß er gezwungenermaßen Mitglied einer Miliz der Taleban gewesen und bei vielen Hinrichtungen persönlich anwesend gewesen sei. Die Anklage lautete sodann auf Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord.

In Laufender Hauptverhandlung öffnete sich der Angeklagte und widerrief seine Angaben. Er tat aber nicht nur das, sondern gab auch gleichzeitig ein Motiv bekannt, was ihn zu seinen Angaben geführt hatte. Er wollte schlicht und ergreifend in Deutschland als Flüchtling anerkannt werden, um hier Geld für seine bitterarme Familie und schwer kranke Mutter verdienen zu können. In Afghanistan gab es keine Hoffnung und keinen Ausweg aus der Not. Kurzum: er bestritt den Wahrheitsgehalt seiner bisherigen Angaben.

Das Oberlandesgericht hatte nun zu prüfen, welche Angaben denn nun der Wahrheit entsprechen. Die belastenden zur Begründung eines Asylgrunds? Die entlastenden, die auch einfach der Versuch sein konnten, aus der Untersuchungshaft zu kommen?

In einer Zeit, in der viel von Terror die Rede ist, Menschen genervt sind von der Flüchtingsproblematik in Deutschland, die Sicherheitsbehörden sehr sensibel auf Verdachtsmomente reagieren, in solch einer Zeit sprach der 1. Strafsenat unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Mille, meine Mandanten frei und folgte damit auch meinem Antrag – gegen den Antrag des Generalbundesanwalts.

Aus der jüngeren Rechtsgeschichte ist mir kein Fall bekannt, der mit einem Freispruch vor einem Strafsenat geendet hat. Ein weises und wegweisendes Urteil. Denn auch der Generalbundesanwalt und die Sicherheitsbehörden sind nicht frei von Irrtum.

Die wichtigste Botschaft, neben der übergroßen Freude über den durchschlagenden Erfolg der Verteidigung, ist aber, daß unsere Justiz funktioniert. Es gibt sie doch, die Richter, die ihre heilige Unabhängigkeit ernst nehmen, diese wahrnehmen und in vorbildlicher Art und Weise leben.

Es lebe die Leidenschaft!

Presse: SWR Aktuell vom 08.12.2017 Handelsblatt-Meldung vom 08.12.2017