Geschichten aus dem Alltag eines Anwalts

Sprafke's Blog

Deutsche Dichtkunst und die vernebelte Staatsanwaltschaft

Ein Stück aus dem Kuriositätenkabinett: Eines Tages tauchen beim Finanzamt Gewerbeanmeldungen auf. Darauf ist als Betriebszweck angegeben: “Herstellung Heilmittel Cannabis.” Der Finanzbeamte weiß damit nichts anzufangen und fährt einfach mal zum Steuerpflichtigen nach Hause. Es stellt sich heraus, daß der Mandant von den Gewerbeanmeldungen zwar nichts wußte, aber er dennoch einen grünen Daumen hatte, soweit er sich im Anbau von Cannabispflanzen versucht hat. Das Finanzamt landet einen Volltreffer und teilt die frischen Erkenntnisse natürlich der Kriminalpolizei mit. Drei Wochen später durchsucht die Polizei die Wohnung und findet neben den Pflänzchen noch ein altes Luftgewehr – geladen und funktionsfähig. Andere Beweismittel, die ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nahelegen würden, können nicht gefunden werden.

Was die Polizei aber durch erstes Befragen des Beschuldigten ermittelt, ist sein Motiv für den Anbau der Hanfpflanzen: Eine langjährige, schmerzhafte und chronische Erkrankung und der Wunsch nach Schmerztherapie.

Der Mandant erzählt den Ermittlern irgendetwas von Apotheken, Abgabe von Betäubungsmitteln und seinem Versuch als web-master gewerblich Fuß zu fassen. Die zuständige Staatsanwaltschaft, eine aus dem südlichen Teil des Landes der Dichter und Denker, fertigt aus diesen Informations-Fragmenten nicht nur plump eine Anklageschrift. Nein! Die Fassung des Anklagesatzes ist Literatur, Poesie, Märchen, science fiction. Die Vorwürfe lesen sich dann ungefähr wie folgt: Angeklagter ist des bewaffneten Handeltreibens schuldig (Mindeststrafe 5 Jahre!). Die Staatsanwaltschaft kombiniert in wahrhaft großer Manier, daß die Gewerbeanmeldung ein mehr als deutliches Indiz dafür sei, daß der Angeklagte einen unbedingten Vorsatz hatte, mit Drogen Geschäfte zu machen. Und es sei auch klar, daß keine üblichen Beweismittel gefunden werden konnten (Tütchen, Schuldnerlisten, Whatsapp-Chats, Bargeld, etc.). Denn unser Angeklagter wollte ja nur an deutsche Apotheken sein Gras verkaufen – als Heilmittel sozusagen.

Wer jetzt immer noch an einen Scherz glaubt, dem sei entgegnet, daß das Gericht die Anklage zuließ und es zur Hauptverhandlung kam. Auf meinen Antrag hin, wurden die Dinge dann ins rechte Licht gerückt. Das phantasievolle Beweiskonstrukt der Staatsanwaltschaft fiel einfach in sich zusammen. Heraus kam das richtige Ergebnis: Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als minder schwerer Fall.

Bis zu letzten Sekunde versuchte der Staatsanwalt die absurden Anschuldigungen dem Gericht als realistisches Szenario zu verkaufen, obgleich der Vorsitzende mehr als einmal deutlich seine vorläufige Rechtsmeinung unüberhörbar kundtat. Diese Fälle ärgern mich: Staatsanwaltschaften im blinden Bestrafungswahn. Die Sinne vernebelt – hoffentlich nicht durch Cannabis.